Da stimmt vieles nicht

„Napoleon“ von Ridley Scott

von Renate Wagner

Napoleon
USA 2023

Regie: Ridley Scott
Mit: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby u.a.
 
Französische Kritiker haben den „Napoleon“-Film von Ridley Scott nicht gemocht, und wer immer etwas mehr als nur das Allerüblichste über diesen Mann weiß, muß ihnen zustimmen. Gewiß, man hat es mit einem der großen Regisseure dieser Zeit zu tun, aber besser er befaßt sich mit dem „House of Gucci“, das ist ihm eindeutig überzeugender gelungen. (Und der „Gladiator“ sowieso.)
 
Nun ist das Leben von Napoleon Bonaparte (1769-1821) so komplex und übervoll an Ereignissen und Menschen, daß tausendseitige Wälzer als Biographien geschrieben wurden. Auch wenn man die Kinolänge auf mehr als zweieinhalb Stunden streckt, muß man auswählen – und Scott und sein Drehbuchautor David Scarpa haben schlecht gewählt. Eigentlich müßte ihr Film „Napoleon und Josephine“ heißen, denn das Geschehen konzentriert sich nahezu auf die Beziehung der beiden, flankiert von einigen Schlachten. Kaum eine andere Persönlichkeit gewinnt daneben auch nur Profil (mit Ausnahme von Rupert Everett als Herzog von Wellington, der in der trockenen Geschichte sogar ein paar Pointen bekommt – nun ja, Scott ist Brite), die meisten huschen gewissermaßen unerkannt vorbei, es gibt keine Zusammenhänge und keinen logischen Faden und vor allem kein fundierte psychologisches Porträt des Selfmade Kaisers der Franzosen, der, was immer man von ihm hält, sicherlich eine der faszinierendsten Figuren der Weltgeschichte war.
Nicht bei Ridley Scott und seinem Hauptdarsteller Joaquin Phoenix, der zweieinhalb Stunden lang mit der gleichen verbissenen, ausdruckslosen Miene vor sich hin wandert und weder den Menschen noch die Persönlichkeit auch nur erahnen läßt. Ein älterer Mann von Anfang an, dem man nichts Besonderes zutraut.
Ebenso ist klar, daß Napoleon für Scott hier nur der „korsische Rüpel“ ist, nicht der Mann – ungeachtet des Blutzolls, den er Europa abverlangte – , der auf vielen Ebenen, (nicht nur am Schlachtfeld) über außergewöhnliches Niveau verfügte. Es ist völlig berechtigt, immer wieder auf die Zahl der Toten hinzuweisen, die für ihn auf dem Schlachtfeld blieben – aber wenn einem ein Mann so unsympathisch ist, warum dann einen Film über ihn machen?
 
Zu Beginn wird Königin Marie Antoinette mit großer Ausführlichkeit geköpft, und Napoleon sieht bewegungslos zu. Die blutigen Ereignisse der Revolution huschen vorbei ohne Klarheit, obwohl der Film in kurzen Zwischentiteln und Jahreszahlen versucht, die historisch weniger Gebildeten mit Minimal-Information zu versorgen. Scott legte Wert auf Schlachten, und natürlich „kann“ er solche Szenen, aber man hat ähnlich Eindrucksvolles schon öfter gesehen.
Außerdem mußte Scott auswählen, da Napoleon so viele geschlagen hat – Toulon, wo er die Belagerung des Hafens durch die Engländer sprengte, kurz der Ägyptenfeldzeug (eine Mumie wie jene, die Napoleon da betrachtet, gibt es einfach nicht, die sehen anders aus), dazwischen die Krönung als nahezu lächerliches Ereignis, Austerlitz (der große Sieg), der Rußland-Feldzug (ein bißchen brennt Moskau) und schließlich Waterloo (die finale Niederlage). Elba und St. Helena ziehen vorbei, als bedeutete es nichts. Es geht ohnedies immer um Josephine. Und auch da stimmt vieles nicht.
Sie muß eine bemerkenswerte Person gewesen sein, diese Josephine Beauharnais, nicht nur das reizvoll-sexy Geschöpf, das Vanessa Kirby immerhin auf die Leinwand bringt. Daß sie eine in der nachrevolutionären Gesellschaft bestens vernetzte Frau war, die Napoleon mit wichtigen Männern zusammenbrachte, und daß sie den korsischen Soldaten zweifellos zurechtgeschliffen hat, sieht man hier nicht. Es gibt viel Sex und viele Streitereien zwischen beiden und viel, viel sentimentale Liebe. Anderes zählt nicht – Marie Louise erscheint in einer kurzen Szene, himmelt Napoleon an (das kann man sich auch nicht ganz vorstellen) und Schnitt, schon trägt er seinen Sohn im Arm. Ähnlich überhapts geht es meistens weiter. Und Napoleon bleibt immer derselbe „Bulle“. Da war einem der differenzierte Marlon Brando schon lieber.
 
Hierzulande herrscht große Kritiker-Begeisterung“ („geistreich“, „überwältigend“). Der einseitige Napoleon (diesem Mann, den Phoenix spielt, traut man nicht zu, daß er Goethe las, Haydn und Beethoven bewunderte und mit Metternich stundenlange Streitgespräche auf höchstem Niveau führte) entspricht wohl irgendwie dem Zeitgeist der Heldendämmerung. Sicher war Napoleon kein „Held“ und keine positive Persönlichkeit. Aber er war ungleich mehr, als Ridley Scott ihn sein läßt. Vielleicht sollte man sich bei Interesse die Mühe machen, ein wenig über ihn nachzulesen.
 
 
Renate Wagner